(1.) Die Niederschlagung der Pro-Demokratie-Bewegung in Hongkong als Warnung an Taiwan
Seit der Wiederwahl von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Anfang 2020 hat die Häufigkeit des Eindringens von Militärflugzeugen der Volksrepublik China in Taiwans Luftraum deutlich zugenommen. Zuletzt waren es in 2021 mehr als 958 Vorfälle; es kommt also im Durchschnitt mehr als zweimal täglich zu solchen Provokationen.
Noch 13 Monate vor ihrer Wiederwahl hatte die Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) Tsai Ing-wens bei den Kommunalwahlen in Taiwan eine verheerende Niederlage erlitten hat. So gewann die DFP im Herbst 2018 nur sechs der 22 Kreise und Städte, während sie zuvor noch die Mehrheit in 13 Bezirken innehatte. Demgegenüber verbesserte sich die prochinesische Kuomintang (Nationale Volkspartei Chinas) – ehemaliger Kriegsgegner der KPC, nun aber faktisch politischer Verbündeter – auf die Mehrheit in 15 Städten und Kreise. (In der Hauptstadt Taipeh gewann ein unabhängige Kandidat). Was sorgte binnen kurzer Zeit für den Stimmungsumschwung zugunsten der Präsidentin und ihrer DFP, so dass sie die Wahl Anfang 2020 mit einer absoluten Mehrheit von 57% gewann? Der wichtigste Faktor ihres Erfolges waren die Aktivitäten der seit 2019 in der ganzen Welt wahrnehmbaren Pro-Demokratie-Bewegung in Hongkong:
Die Pro-Demokratie-Bewegung wurde als Gegenreaktion zu dem Drängen der KPC ausgelöst, in dem leider nur noch formal autonomen Hongkong ein Gesetz zu verabschieden, wonach sogenannte „Kriminelle“ direkt zum Prozess nach Festlandchina geschickt werden können. Boykotte und Massendemonstrationen waren die Folge, weil die Menschen dem großen Versprechen der Volksrepublik „ein Land zwei Systeme“ nicht mehr vertrauen und ihre Freiheit massiv eingeschränkt sehen. Die Justiz ist nicht mehr unabhängig, demokratisch gesinnte Kandidatinnen und Kandidaten werden nicht zugelassen und bei der Direktwahl für den Chief Executive dürfen nur der KPC genehme Kandidaten antreten.
Die völlig gewaltfreien Demonstrationen und friedlichen Bürgerproteste wurden von der Hongkonger Lokalregierung anfangs als gewalttätige „Krawalle“ verzerrt dargestellt und mit brutaler Polizeigewalt unterdrückt, was zu einer direkten Eskalation der Konflikte zwischen den Bürgern und den Hongkonger Behörden führte. Zunächst musste die Regierung von Hongkong den Protesten nachgeben und kündigte an, die Verabschiedung der „Send to China-Regulations“ auszusetzen.
Doch nun geschah etwas Unerwartetes: die KPC hielt Ende Mai 2020 in Peking den 13. Nationalkongress der Volksrepublik China ab. Auf dessen dritter Tagung wurde ein „Hong Kong Staatssicherheit Gesetz“ in Anhang 3 des Hongkonger Grundgesetzes verabschiedet, das es den Behörden erlaubt, mit polizeilichen Mitteln Dissidenten zu unterdrücken, und die richterliche Unabhängigkeit faktisch abschafft. Dieses Gesetz stellt einen direkten Verstoß gegen das Grundgesetz von Hongkong dar, weil dieses nur durch die Bezirksräte von Hongkong geändert werden darf. Denn 1984 unterzeichneten die Volksrepublik China und die britische Regierung die „Chinesisch-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong“, die klar festlegte, dass trotz nach der 1997 erfolgten Rückgabe an China die Stadt Hongkong für die kommenden 50 Jahre weiterhin ein eigenes politisches System mit einer eigenen Rechts- und Wirtschaftsordnung haben dürfe. Aber schon nach 23 Jahren ist das die KPC von Anfang an störende „Ein Land, zwei Systeme“-Prinzip endgültig ausgehöhlt worden. So bezeichnete ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums die völkerrechtlich bindende gemeinsame Erklärung zu Hongkong einseitig als (wertloses) „historisches Dokument“. Damit verhält sich die KPC wie ein gesetzloser Schurke.
Das Problem ist: Die „Ein Land, zwei Systeme“-Politik war ursprünglich nicht für Hongkong und Macau gedacht, sondern für Taiwan. Dies Konzept hat die Kommunistische Partei Chinas seit der Ära von Deng Xiaoping in den letzten 40 Jahren in der Hoffnung auf eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan auf Taiwan politisch propagiert. Doch Hongkong und Macau waren die ersten Opfer dieser Politik. In der Vergangenheit hat die Illusion, Hongkong habe noch Reste von Demokratie und ein unabhängiges Rechtssystem, viele Taiwaner verwirrt und zur Wahl der für das Konzept werbenden Kuomintang geführt.
Als jedoch Videos viral gingen, in denen die schwer bewaffnete Hongkonger Polizei auf unbewaffnete Bürger einschlug und dennoch die freundlichen Hongkonger weiter massenhaft protestierten, erregte das die taiwanesische Öffentlichkeit. Nach Taiwan geflüchtete Hongkonger Dissidenten wandten sich an die Taiwaner: „Wir können nur einmal für euch demonstrieren.“ So drehte sich die taiwanesische öffentliche Meinung fast über Nacht: Diejenige, die für die Betonung des indigenen Bewusstseins Taiwans plädierte, die Ein-China-Politik herunterspielte und beinahe ihre Chance auf eine Wiederwahl wegen der enormen Verluste in Taiwans Tourismus- und Agrarexportindustrie verspielt hatte, wurde mit 8,17 Millionen Stimmen wiedergewählt, die meisten in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen in Taiwan. Tsai Ing-wens Gegner, der Kuomintang-Präsidentschaftskandidat Han Kuo-Yu, der 9 Jahre an der School of Government der Peking-Universität studierte, hatte sogar noch am Vorabend der Pro-Demokratie-Bewegung in Hongkong dort das Verbindungsbüro der KPC, der höchsten Autorität in Hongkong, besucht und scheiterte kläglich. Er war derart unfähig und unbeliebt, dass er als Bürgermeister von Kaohsiung vor dem Ende seiner regulären Amtszeit abgewählt wurde. Damit ist er der erste Bürgermeister einer Großstadt, der seit der Einführung der Demokratie in Taiwan entlassen wurde. Gleichzeitig spiegelt es den Erfolg und die Verlässlichkeit des demokratischen Systems Taiwans wider.
Als die Lüge „ein Land, zwei Systeme“ gründlich durchschaut und die 40-jährige Täuschung Taiwans von ihm selbst aufgedeckt wurde, trug dies zu Xi Jinpings Motivation bei, die Politik mit dem Ziel der Wiedervereinigung Chinas mit Taiwan zu beschleunigen. Dunkle Wolken hängen über der Formosastraße.
(2.) Die Demokratie Taiwans als Bedrohung für die KPC
Der Anspruch der KPC, Taiwan der Volksrepublik einzuverleiben, ist absurd. Angeblich ist Taiwan schon immer ein heiliger und unveräußerlicher Teil Chinas. Das ist historisch streitig und ohnehin hat die KPC in der Vergangenheit nicht auf Chinas territoriale Integrität geachtet. Die besten Beispiele dafür sind chinesische Konzessionen an die Sowjetunion und später die Russische Föderation, wonach die Volksrepublik auf zunächst beanspruchte Flächen verzichtet hat, die flächenmäßig 110mal so groß wie Taiwan sind. Zuletzt erkaufte sich die KPC so die Zustimmung der Russischen Föderation zu der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO).
Was ist also das eigentliche Ziel der KPC, wenn sie die Vereinigung mit Taiwan anstrebt? Die Antwort ist jedenfalls nicht, weil „Taiwan ein heiliger und unveräußerlicher Teil Chinas“ ist!
Ich erinnere mich, dass der US-Präsident George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im Kongress fragte „Warum greifen uns islamische Extremisten an?“. Die Antwort war (sinngemäß): „Weil sie unser System hassen, weil sie unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Meinungs- und Glaubensfreiheit, sogar die Freiheit, miteinander nicht einverstanden zu sein., verachten.“ Meines Erachtens denkt die KPC genauso. Eine der häufigsten Ausreden, die ihre Funktionäre verwenden, um zu erklären, warum sie nicht bereit sind, Demokratie auszuüben, ist, dass die chinesische Kultur nicht für das Funktionieren der Demokratie geeignet sei. Eine funktionierende Demokratie wie in Taiwan, das die gleiche Sprache und Kultur wie das Festland hat, ist für die Kommunistische Partei Chinas nichts anderes als eine schallende Ohrfeige, die ihre Argumentation widerlegt. Denn Taiwan hat nicht nur ein demokratisches System, sondern ist ein Leuchtturm der Demokratie und Freiheit im Westpazifik.
Laut dem von der „Economist Intelligence Unit“ erstellten „Democracy Index“, der den Grad der Demokratie von 167 Staaten weltweit analysiert, hat die Republik China (Taiwan) im Jahr 2021 den achten Platz hinter Norwegen, Neuseeland, Finnland, Schweden, Island, Dänemark und Irland inne (Deutschland ist auf Platz 15, die Volksrepublik China auf Platz 148). Der Index misst fünf Indikatoren: Wahlprozess und Diversität, bürgerliche Freiheiten, Funktionieren der Regierung, politische Partizipation und politische Kultur. Die Republik China (Taiwan) ist nicht nur die erste Republik in Asien im letzten Jahrhundert, sondern auch eines der fünf Gründungsländer der Vereinten Nationen und das erste Land in Asien, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert und eingeführt hat. Zudem hat es die höchste weibliche politische Beteiligungsquote. Obwohl das Ideal und die Überzeugung der KPC, dass „Taiwan befreit werden muss“, aus der Mao Zedong-Ära stammen, haben sich die Gründe dafür also im Laufe der Zeit geändert:
Es begann als Kampf um die Legitimität, statt der nationalchinesischen Regierung unter Chiang Kai-sheks, die militärisch besiegt wurde und sich nach Taiwan zurückzog, „China“ zu vertreten. Heute geht es der KPC nur darum, die taiwanesische Demokratie als Vorbild für Festlandchina zu beseitigen. Denn die KPC hat Angst, dass diejenigen, die das Glück haben, die Netzwerk-Firewall zu durchbrechen oder gar Taiwan besuchen zu können, vom Erfolg des demokratischen Vorbildes überzeugt werden. Verglichen mit Taiwan ist das Regime der KPC ein illegales Regime: Bei jedem größeren Treffen müssen ihre Kader die „Überlegenheit“ des eigenen Systems öffentlich machen und das „Systemvertrauen“ betone. Doch wagen Sie es nicht, freie und allgemeine Wahlen zuzulassen; stattdessen entwickelt sich die Volksrepublik zu einem Überwachungsstaat orwellscher Prägung. Denn in einem Umfeld uneingeschränkter Meinungsfreiheit wird totalitäre sektenartige Gehirnwäsche selten akzeptiert. Die Grundelemente der Demokratie wie Meinungs-, Presse- und Glaubensfreiheit in Einklang zu bringen, kann zum Zusammenbruch der Tyrannei führen. Die KPC fürchtet die Demokratie, genau wie Vampire das Licht nicht sehen können.
Die KPC hat Taiwanesen immer als „Landsleute“ bezeichnet und eine Wiedervereinigung mit Taiwan gefordert; aber wenn es an der Zeit ist, das politische System zu diskutieren, werden Taiwanesen zu Ausländern. Mit 2.000 auf Taiwan gerichteten Mittelstreckenraketen wird eine dauerhafte militärische Bedrohung inszeniert. Die KPC investiert viel Geld, um Taiwans wenige verbleibende diplomatische Beziehungen zu unterbinden und will die betroffenen Staaten bewegen, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen. Zuletzt wurde versucht, Taiwans Rückkehr zur Weltgesundheitsorganisation zu unterbinden. Aber wir sind nicht überrascht, denn so behandelt die KPC ihre „Landsleute“ seit 70 Jahren standardmäßig in Festlandchina und in jüngerer Zeit in Hongkong.
Jetzt, wo die Lüge von der friedlichen Wiedervereinigung aufgedeckt wurde, steht die kommunistische Armee kurz davor, eine Invasion Taiwans zu starten. Was ist die stärkste Selbstverteidigungswaffe für Taiwan angesichts der Bedrohung durch militärische Gewalt? Ist es der von den Vereinigten Staaten bereitgestellte F-16-Jäger der vierten Generation? Oder ein fortschrittlicher Abrams-Panzer? – Weder noch, die Antwort ist immer noch Demokratie!
Aufgrund der demokratischen Werte Taiwans ist die internationale Gemeinschaft bereit, Taiwan gemeinsam zu verteidigen! Der Taiwan Relations Act der Vereinigten Staaten legt eindeutig fest, dass im Falle eines militärischen Angriffs der KPC das US-Militär verpflichtet ist, Taiwan verteidigen zu helfen. US-Präsident Joe Biden, der Japan im Mai 2022 besuchte, machte dies noch einmal deutlich, und auch der japanische Premierminister Fumio Kishida erklärte bei verschiedenen Gelegenheiten, dass sich Japan notfalls auch direkt am Krieg beteiligen werde. Wenn andererseits ein vollständig demokratisches Land (Region) von einer brutalen Tyrannei überfallen und ignoriert wird, wird die von den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg geführte internationale Ordnung aufhören zu existieren, und die Welt wird in das 18. Jahrhundert zurückkehren. Auch dies müssen die Vereinigten Staaten bei der Wahrung ihrer eigenen Interessen und ihres internationalen Status vermeiden.
Jede Art einer stabilen internationalen Ordnung braucht die Unterstützung der Großmächte und die Fähigkeit zur entschlossenen Umsetzung, sonst wird sie wie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg sich schnell von der Bühne der Geschichte zurückziehen. Im 21. Jahrhundert ist die wirksamste Stimme zwischen den Ländern keine Kanone, und das Gesetz des Dschungels gilt in dieser Zeit nicht mehr. Der Kreml-Tyrann Wladimir Putin erkennt dies nun verzögert an seinen Wunden, und ich hoffe, sein Verbündeter, Generalsekretär Xi Jinping, kann daraus eher früher als später lernen. Denn ein ähnlicher Schritt würde für ihn und sein Regime die Totenglocke läuten.