Im Rahmen unserer Reihe „Christen in der Moderne – Kirche nur an Weihnachten“ konnten wir Professor Jürgen Manemann, Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, begrüßen. Unter dem Titel „Wie wir gut zusammen leben – Plädoyer für eine aktivierende christliche Politikethik“ gab er Einblicke in die Ursachen der gegenwärtigen Zukunftslosigkeit junger Menschen sowie Vorschläge dafür wie eine gute Politik sein sollte.
Manemann zeigt auf, dass wir in einer Zwischenzeit leben, in der sich vieles auflöst beispielweise auf der Individualebene. Dies ist prinzipiell nicht negativ zu bewerten, denn, wenn etwas geht, kann stets etwas Neues kommen. Ein Problem gibt es allerdings dann, wenn das Aufgelöste nicht durch etwas Neues ersetzt wird. Es reicht daher nicht mehr aus, von außen zu analysieren, sondern es muss am Änderungsprozess teilgenommen werden, weshalb die Sozialethik sich zu einer christlichen Politikethik transformieren muss.
Einerseits lässt sich eine zunehmende Abkehr der Bevölkerung von der Politik wegen Politikverdrossenheit und Politikunfähigkeit feststellen, andererseits eine Rückkehr zur Politik durch Bewegungen wie Stuttgart 21 oder Pegida. Das Neue an der heutigen Politik ist eine Rückkehr zum ihrem Ursprung: der Marktplatz der griechischen Antike wird zum ägyptischen Tahrir-Platz. Um auf diese Änderungen reagieren zu können, setzt Politik die Fähigkeit des Zuhörens voraus. Finden Menschen Gehör, fühlen sie sich zugehörig und erfahren Anerkennung. Papst Franziskus ruft daher alle Bürger als Akteure der Zivilgesellschaft auf, hinzugehen, zuzuhören und sich einzumischen.
Manemann sieht ein gewichtiges Problem darin, dass unserer Gesellschaft der Möglichkeitssinn verloren geht. Der heutigen Generation fehlen Träume und Visionen. Die Ermüdung der Gesellschaft zeigt sich konkret in Burnout und Depressionen. „Es gibt keinen Mangel am Haben, sondern einen Mangel am Sein“, konkretisiert Manemann. Durch den Verlust der Kontrolle über das eigene Leben, fühlen sich junge Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Daher sind sie hungrig nach Identität.
Ein Weg aus dieser Problemlage heraus, bietet ein sinnvolles Leben. Dieses setzt soziale Teilhabe voraus, die sich darin zeigt, sich aktiv mit Aufgaben zu beschäftigen, die auch für andere von Bedeutung sind. Hierdurch erfährt der Einzelne Anerkennung für seine Tätigkeit und der Sinn des Lebens wird deutlicher. „Sinn kann der Einzelne für sich allein also nicht finden“, erklärt Manemann. Hierfür bedarf es erneut der Grundfähigkeit des Zuhörens. Geht die Kultur des Zusammenlebens verloren, löst sich der Sinn unseres Zusammenlebens auf, weshalb ihr besondere Aufmerksamkeit zu Teil werden sollte.
Politik ist nur dann Politik, wenn sie auf das Gemeinwohl und nicht auf Partikularinteressen ausgerichtet ist. Um dem Gemeinwohl zu dienen, sind die Grundbedürfnisse sowohl der gegenwärtigen als auch der zukünftigen Generationen zu gewährleisten. Insbesondere Menschen, die über keine Lobby zur Vertretung ihrer Interessen verfügen, wie Arme oder Flüchtlinge, sollten daher von der Politik unterstützt werden und Gehör finden.
Des Weiteren stellt Manemann fest, dass die Politik in der Verschiedenheit der Menschen wurzelt. Politik beginnt, wenn unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Interessen aufeinandertreffen; sie setzt Pluralität voraus. Jeder Versuch der Gleichmacherei beendet somit die Politik, denn wer Pluralität zerstört, zerstört gleichzeitig die Politik. „Die Politik verlangt eine Andersheit, die öffentlich anzuerkennen ist“, verdeutlicht Manemann.
Machtpolitik, die eine die Menschen schützende Ordnung herstellt, schafft auch immer Gegenmacht, die in der Bürgerpolitik zu sehen ist. Ohne Protest und Widerstand kann Politik sich nicht ändern und neuen Entwicklungen anpassen. Dieser Widerstand entsteht im Zusammenleben durch gemeinsame Werte. Sie werden durch das Praktizieren verinnerlicht, wodurch sie zu Tugenden des Handelns werden. Demokratie, welche nicht nur eine Regierungs-, sondern auch eine Lebensform ist, beruht auf dem Glauben an die Werthaftigkeit der Verschiedenheit.
Das Fundament der Politik ist die Gerechtigkeit. Mitleidenschaft, das passive Nachempfinden und aktive Handeln, ist dabei der Motor der Gerechtigkeit, der dafür sorgt, dass Ungerechtigkeiten stets aufs Neue aufgedeckt werden. Eine gute Politik ist zudem eine Politik des Kompromisses. Dieser ist immer die beste Lösung, denn in Gesprächen mit anderen, werden neue Sichtweisen deutlich, der Andere wird anerkannt und die Möglichkeit der Feindschaft negiert.
Der verdunkelte Zukunftshorizont junger Menschen kann durch neue Propheten in der Wissenschaft und eine gute Politik, die zuhört und aufgeschlossen gegenüber Neuem ist, aufgehellt werden.