Die Spekulationen haben nun ein endgültiges Ende. Seit dem 24. Februar 2022 herrscht in der Ukraine Krieg. Der russische Präsident Putin hat seiner Armee den Angriff befohlen und damit gegen das Völkerrecht, die Integrität und die Souveränität der Ukraine verstoßen. Putin hat geschafft, was Europa und der Westen versäumt haben: er hat uns einmal mehr unsere Grenzen aufgezeigt.
Bereits vor dem endgültigen russischen Einmarsch gab es eine überwältigende Welle der Solidarität für die Ukraine und Verachtung für das Vorgehen von Putin. Doch weder die Solidarität von Bundeskanzler Olaf Scholz, noch die von jedem zweiten Hobby-Influencer werden verhindern, dass in der Ukraine fortan Menschen sterben werden. Sollte Europa und allen voran wir Deutschen uns jetzt nicht endlich hinterfragen?
Man bekommt den Eindruck der Krieg in der Ukraine gehe uns Deutsche nicht ans. Ein fataler Trugschluss! Putin ist auf der Suche nach seinem „bellum iustum“ gescheitert. Weder die Propaganda über einen vermeintlichen Eintritt der Ukraine in die NATO, noch plumper Geschichtsrevisionismus über die historische Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland, haben Putin einen Kriegsgrund gegeben. Der Krieg gegen die Ukraine ist daher ein Krieg gegen Demokratie und jede Art der Freiheitsbewegung. Es ist ein Krieg gegen das demokratische Europa, in dem die Ukraine das Bauernopfer spielen muss.
Putin hat mit seinem Angriff auf die Ukraine letztlich zweierlei bewirkt. Zum einen hat er die Demokratie brüskiert und zum anderen die Grenzen des Möglichen verschoben. Der russische Präsident testet seit Jahren ganz bewusst, was er sich erlauben kann. Die Appeasement-Politik Europas hat ihn ermutigt auch dieses Mal die Grenzen sprichwörtlich und durch Ausweitung seines Einflussgebietes zu verschieben. Während Europa beleidigt wegschaut, wie es Putin denn nur wagen kann, schauen andere ganz genau hin. Die diesjährige Olympiade in China darf den Schein nicht trügen, dass Taiwan nach der Ukraine das nächste Opfer der Autokratie sein wird.
Trotzdem ist vom „Unfassbarem“ oder „Unvorstellbarem“ die Rede. War die russische Invasion nach etlichen Manöverübungen mit Belarus und martialischen Aufmärschen an der ukrainischen Grenze wirklich so unglaublich? Deutschland würde daher gut daran tun, wenn ein Teil der Entrüstung in Selbstreflexion umschwenken würde. Die deutsche Selbstverständlichkeit von Wohlstand und Demokratie haben uns für die Bedrohung in der Ukraine auf eine dekadente Art und Weise blind gemacht. Die linke Utopie einer pazifistischen Regenbogenwelt, die vor allem in Deutschland Anhänger findet, ist erschüttert. Es wäre vermessen zu behaupten, Europa wäre schuld an dem Krieg in der Ukraine. Sicher ist jedoch, dass allen voran Deutschland den Ausgang hätte ändern können. Die Sanktionen des Westens kommen, wenn der Krieg schon tobt. Defensivwaffen für die Ukraine? Die wird es dann geben, wenn das ganze gerade nochmal gut gegangen ist. Sie sehen die Ironie, denn das wird es nicht.
An dem Sprichwort „aus Fehlern lernen“ ist etwas dran. Doch Deutschland lernt nicht. Unsere Sorgen um Klimaneutralität und einer geschlechtergerechten Sprache sind Ausdruck dessen, wie gut es uns in Deutschland eigentlich geht. Die Betonung muss hier auf Deutschland liegen, denn gerade mit Blick auf die süd- und osteuropäischen Staaten, kommen plötzlich andere Probleme auf die Tagesordnung. Durch Deutschlands Führungsrolle in Europa ist der Realitätsverlust der Deutschen hoch gefährlich. Die Ukraine-Krise ist das katastrophale Beispiel.
Europas Politik im Umgang mit Russland erinnert an eine schreckliche Zeit, deren Zeitzeugen immer weniger werden. Es liegt an Europa und allen voran an Deutschland sich der Verantwortung an diese Erinnerung bewusst zu machen. Heute stärker denn je. Europa hadert mit dem deutschen Selbstverständnis und es wird Zeit, dass Deutschland seine Führungsrolle in der EU endlich wahrnimmt. Die Ermutigungen, gerade von den osteuropäischen Staaten, sollten Anlass genug sein. Und wenn das alles nicht reicht, sollte man sich eines vor Augen halten: es herrscht Krieg in Europa!
Autor: Luca Heinemann, Kreisvorsitzender der Jungen Union Göttingen