Gestern war es wieder soweit: Eine Solidaritätsbekundung für das unerschütterliche Recht Israels auf Selbstverteidigung und Forderung nach sofortiger Freilassung der israelischen Geiseln. Der 7. Oktober 2023 war der dunkelste Tag in der Geschichte des Staates Israel. Der tödlichste Tag für Jüdinnen und Juden seit dem Ende der Shoah. Ein Tag voller Schrecken und Schmerz, der alle Bemühungen um Frieden zwischen Israelis und Palästinensern um Jahre zurückgeworfen hat. Vor einigen Tagen dann die traurige Gewissheit, dass 31 der israelischen Geiseln nicht mehr am Leben sind.
Göttingen ist eine hoch politische Stadt, das haben wir alle in den letzten Wochen gesehen: Über 12.000 Menschen auf der Straße gegen rechte Hetze und für die Demokratie. Nur wenige Tage zuvor protestieren Tausende gegen die „Querdenker“ und setzen eine gesamte Stadt für einen Tag in den Ausnahmezustand. Breite Solidarität durch die gesamte Stadt. „Die schweigende Mehrheit hat ihre Stimme wiedergefunden“ hieß es in der Nachlese der Demonstration. Das scheint aber nicht für alle Themen zu gelten, denn Göttingen ist für seine Verhältnisse ziemlich still, wenn es um israelbezogenen Antisemitismus geht.
Auf der Vorplatz des Neuen Rathauses tummelte sich gestern also eine überschaubare Menschenmenge. Wenn ich dazu die Bilder der letzten Wochen im Kopf habe und die Schnittmenge der Besucher vergleiche, konnte ich mich für unsere Stadt nur schämen – und das eigentlich schon seit dem 7. Oktober.
Regelmäßig finden in der Innenstadt Pro-Palästina-Demonstrationen statt und prangern immer wieder eine „Genozid“ in Gaza an. „From the river to the sea“ wird skandiert. Auch wenn offiziell die Distanz zur Hammas betont wird, hört man in den Reden der Veranstalter dazu nicht. Zuletzt fand die Kundgebung am Tag des Holocaust-Gedenktages statt – der Zeitpunkt steht für sich. Pro-Israelische Gruppierungen und Kundgebungen sind dabei zahlenmäßig fast immer unterlegen und ziehen sich aus Angst vor Übergriffen in Seitenstraßen zurück. Die Aktionen stehen immer unter Polizeischutz, wie auch die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Göttingen. Das Schweigen zum aktuellen Antisemitismus, der sich unter den Slogans des „Genozids“ oder „Apartheid“ versteckt ist nicht zu überhören. In der Stadt werden Plakate von Opfern der Hamas überklebt. Bisweilen bemerkt man nur ein merkwürdig einseitiges Mitleid. Der Großteil der Stadt ist einfach nur eins: still.
Das trifft vor allem auf die jüngere Bevölkerung zu. Längst ist es politische Mode geworden, sich ohne Einschränkungen mit Palästina zu solidarisieren und den israelischen Staat zu diskreditieren. Wie fließend der Übergang hier aber in den israelbezogenen Antisemitismus ist, interessiert keinen. Hauptsache man stellt sich auf die richtige Seite. Die politische Linke schmückt sich an den Unis mit Theorien des „Postkolonialismus“ oder „Antirassismus“, der Israel als imperialistischen Brückenkof der USA im Nahen Osten wägt. Stolz wird sich mit dem Kufiya-Tuch durch die Universitäten bewegt. Alle die, die permanent moralisieren, sind plötzlich glasklar in ihrer Solidarität. Palästinensischer Terror erhält Erklärungsrahmen und Kontext, doch israelische Gewalt wird grundsätzlich verteufelt.
Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson. Eigentlich hatte ich gehofft, dass diese politische Bekräftigung in Deutschland mehr als nur selbstverständlich ist. Doch die politische Linke tut sich hier schwer. Am Ende ist es wieder einfacher nichts zu sagen, als sich doch zu positionieren. Das Resultat ist am Ende eine Stille in der Stadt, die doch sonst immer klare Stellung bezieht. Es fehlt nicht an offiziellen Statement oder klaren Worten in der Presse. Aber bei allen, die sonst bei so vielen politischen Themen laut sind und klar Stellung beziehen, ist das aktuelle Schweigen ein Offenbarungseid.