Göttingen muss seine Grenzen kennen
Wer hätte gedacht, dass das Öffnen der türkischen Grenze Europas Zusammenhalt erneut so schnell gefährden würde? Hatten Europas Staats- und Regierungschefs doch die Hoffnung, dass mit dem EU-Türkei-Abkommen zumindest für einige Zeit die Grenzen gesichert bleiben würden. Es war eine verzweifelte und wenig zuversichtliche Hoffnung, denn der türkische Präsident hat einmal mehr gezeigt, dass ihm nicht zu trauen ist. Vielleicht sollte Europa das endlich Mahnung sein, nicht weiter an einem Deal festzuhalten, der jedes Mal gebrochen werden wird, sollte Erdogan eine Finanzspritze für seine expansiven Vorstöße auf Syriens Staatsgebiet brauchen.
Doch noch viel größer ist ein anderer Bruch. Ein Tabubruch der Menschlichkeit, welcher es verbietet, Menschen zum Spielball internationaler Politik zu machen. Allein das verbietet weitere Deals mit der Türkei. Wenngleich man trotzdem nicht leichtsinnig die diplomatischen Beziehungen auf Eis legen sollte. Gleichzeitig sollte man bei aller Menschlichkeit auch zwei Seiten betrachten. Zum einen sind es die Millionen Flüchtlinge aus den Lagern in der Türkei, deren Unterstützung Europas humanitäre Pflicht ist. Zum anderen sind es aber auch aufgebrachte griechische Bürger auf Lesbos, welche Straßensperren errichten, um der Masse an Migranten und Flüchtlingen Einhalt zu gebieten. Es sind 700 Millionen Euro Soforthilfe für Griechenland. Aber es sind auch kleine Kommunen in Deutschland, welche von Soforthilfe-Programmen nur träumen können und deren Möglichkeiten der Unterbringung für Flüchtlinge sinken, während die AfD-Sitze in den örtlichen Gemeinden steigen.
Göttingen ist nur ein Musterbeispiel. Es fehlt an menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten und Personal zur Organisation. Dennoch ist es nicht lange her, da wurde in Göttingen über einen Antrag der „Seebrücke“ beraten, welcher die Aufnahme von Migranten ohne jegliche Beachtung der bestehenden Aufnahmequote des Landes Niedersachsen beinhaltet. Der Stadtrat hat Göttingen gegen die Stimmen der CDU und mit der Enthaltung des Oberbürgermeisters zum „Sicheren Hafen“ gemacht. Damit spielt die Aufnahmequote nun keine Rolle mehr. Entscheidend ist vor allem die Enthaltung der Verwaltung in Form des Oberbürgermeisters, der genau weiß, vor welche Herausforderungen ihn der Stadtrat nun gestellt hat. Wenige Wochen später brennt die Ausländerbehörde der Stadt Göttingen und dessen Mitarbeiter erhalten Morddrohungen. Im Bekennerschreiben wird die bedingungslose Aufnahme von Migranten gefordert und es soll denjenigen an den Kragen gehen, die diese Aufnahme organisieren und erste Ansprechpartner für Geflüchtete sind. Nicht nur, dass diese Tat abscheulich und menschenverachtend ist, sondern sie ist an Irrationalität gar nicht mehr zu überbieten.
„Griechenlands Grenzen sind unsere Grenzen, wir halten zusammen“, sagte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, bei seinem vergangenen Griechenland-Besuch. Dieser Zusammenhalt wird die viel größere Herausforderung sein, als die Aufnahme selbst, wenngleich diese entscheidende Auswirkungen darauf haben wird. Wir können tatsächlich auch eine gute Erfahrung aus dem Abkommen mit der Türkei ziehen. Es hat sich bewährt, Aufnahmelager direkt vor Ort zu unterhalten. Sowohl zum Wohle der Flüchtlinge, welche sich andernfalls auf eine aussichtslose und lebensbedrohliche Reise begeben, als auch für den Zusammenhalt Europas. Diese Aufnahmelager müssen vom UNHCR betrieben und von den Europäern selbst gesichert werden. Wir dürfen unsere Sicherheit nicht allein anderen Staaten überlassen. Auch zum Wohle der Schutzbedürftigen dieser Lager. Von dort aus kann individuell über Asylanträge entschieden und Einreisen nach dem Fachkräftezuwanderungsgesetz organisiert werden. Die Stärkung von Frontex muss deutlich schneller vorankommen als es die aktuellen Pläne vorsehen, da dies nicht Griechenland allein, sondern ganz Europa zugutekommt. Bei einem erneuten Zustand von offenen Grenzen nimmt sich Europa seine eigene Souveränität sowie seine Wehrhaftigkeit.
Des Weiteren hilft es nicht, wenn der Ministerpräsident von Niedersachsen die eigenständige Aufnahme von Migranten entgegen irgendeiner Absprache mit den Kommunen fordert. Auch Göttingen wird an das Ende seiner Kapazitäten kommen und kann auf absehbare Zeit nicht mal mehr gewährleisten, ob zukünftig überhaupt noch jemand in der Ausländerbehörde arbeiten möchte. Die Aufnahmequote hat ihren Zweck und sollte daher eingehalten werden. Vor allem dann, wenn Fanatiker Menschen gegen Menschen stellen. Göttingen muss weltoffen bleiben, aber auch Göttingen sollte seine Grenzen kennen.
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